aus
der Aachener Zeitung vom 12.12.2005
Für Kopf-Hörer,
nicht für Laut-Sprecher
Hip-Hop aus
Aachen: „Alter Ego & Kareem“ faszinieren mitentspannten,
intelligenten Grooves
Von Marco Rose
„Morgen wird
sich alles ändern, morgen wird das gestern vergessen, morgen trocknet
das Blut und die Tinte, morgen entfacht endlich meine Glut und die Hitze,
morgen hält mehr Vorsätze aus als Kommata, morgen ist der Anfang
der Veränderung, niemals ein Vorhaben, schlendern, und morgen bin
ich weiser (...) Du bist die Versuchung und Motivation, du begründest
unser Tun und unser Lohn, Du bist was heute nicht ist, aber du bist was
täglich fehlt und uns dann gehört.“ Und einmal tief Luft
holen, nachdenken! Usama lächelt. „Unsere Musik muss nicht
beim ersten Hören gefallen. Wir wollen unser Publikum zum Nachdenken
anregen.“
Das gelingt „Alter Ego &Kareem“ spielend: Ihr Album „Lebenslinien“
– die eingangs zitierten Zeilen stammen aus dem gleichnamigen Titelstück
– entführt den Zuhörer in eine fremde, gleichzeitig merkwürdig
vertraute Gedankenwelt. Melancholische Gitarrenriffs, das warme Hauchen
eines Saxophons, im Nichts verhallende Piano-Klänge; und über
allem der sanft dahinfließende Sprechgesang von Usama und Christian
– meilenweit entfernt vom üblichen, immer gleichen Hip-Hop-Gepose
großkotziger Ghetto-Protagonisten. Vergleiche mit dem Stuttgarter
„Freundeskreis“ drängen sich auf. „Wir wollen keinen
Mainstream-Hip-Hop produzieren, sondern etwas Authentisches. Etwas, das
über unser Leben erzählt“, erklärt Christian. Große
Töne für einen 23-Jährigen. Seit 2001 ist er, Kareem, die
eine Hälfte von „Alter Ego und Kareem“. Der groß
gewachsene Blonde studiert Betriebswissenschaften an der RWTH Aachen und
wohnt in Stolberg. Zur Schule ging Christian in Eschweiler. Auch „Alter
Ego“ Usama (24) besuchte dort seinerzeit die Liebfrauenschule. Die
beiden freundeten sich an, entdeckten die gemeinsame Leidenschaft für
Musik. Usama, in Aachen geborener Sohn von Nadeem Elyas, dem Vorsitzenden
des Zentralrats der Muslime in Deutschland, und Christian, der blonde
Junge aus Eschweiler mit dem unverkennbar rheinischen Tonfall in der Stimme:
Äußerlich grundverschieden, schwingen beide doch unverkennbar
auf einer Wellenlänge.
Lyrische Sprachbilder „Regnerische Berge, tiefe Täler, wüstentrockene
Dünen, faltige Geschichtenerzähler; Radios, die gequälte
Töne raustragen wie Gebrochenes, knochige Bretter zeigen Richtungen,
lodernde Meere laden ein, in Versuchungen schenken beim Tauchgang traumhafte
Enge und beängstigende Weiten ins blaue Ungewisse; damals war klar,
das Leben wird’s schon richten.“
Usama spielt
mit Wörtern, wie hier im Song „Lebenslinien“ . Er entwirft
faszinierende, oft bizarre Bilder, die sich nicht immer beim ersten Hören
erschließen. „Früher habe ich nur geschrieben –
ohne zu ahnen, dass ich die Texte einmal rappen würde. Ich komme
aus einem Umfeld, wo die Musik kein Thema, ja sogar beinahe ein Tabu ist.
Deshalb sind die Songs auch eher unkonventionell.“ „Unsere
Musik entspricht kaum dem klassischen Schema – 40Sekunden Strophe
und dann schnell wieder ein Refrain zum Mitsingen. Für Live-Auftritte
sind sie deshalb eigentlich falsch konzipiert“, sagt Christian,
in dessen heimischem Studio das Album produziert worden ist. Christian
spielt fast alle Instrumente selbst, einige Gastmusiker und -sänger
veredelten die professionell anmutende Produktion. Ein Labelhat das Duo
bislang nicht gefunden, obgleich die Reaktionen der Fachwelt positiv ausfielen.
„Wir
machen unsere Traum-Musik und es ist toll, wenn wir ein Publikum finden.
Die vielen E-Mails die wir bekommen, zeigen uns, dass wir einen Nerv getroffen
haben. Wir sind aber nicht so verrückt zu glauben, dass uns die Plattenindustrie
unbedingt die Türe einrennen wird“,sagt Usama. Die beiden haben
eine Botschaft, und die ist ihnen wichtiger als Geld: gegen Diskriminierung,
für eine freie, multikulturelle Gesellschaft. Usama in dem bewegenden,
musikalisch gut umgesetzten Song „Versaufzählung“: „Wir
sind soziale Waisenkinder ohne Vaterland und ohne Muttersprache. Wir sind
wie der Sand, nicht ganz Meer und nicht ganz Land, wir sind nicht von
dieser Welt. (...) Ich seh vor Augen schon alle Muslime hinter schwedischen
Gardinen. (...) Das ist nicht Verschwörung, guck dir an was passiert
ist nach dem 11. (September), sie spucken auf uns mitsamt den Menschenrechten.
Ungerechtigkeit hat mich 23 Jahre an diesen Körper geschmiedet und
trainiert statt erniedrigt, aber das will keiner hören (...) Fühl
mich wie ein Schwarzer in den USA, so jüdisch wie jemand vor 45 Jahren.“
„Ich bin da zuhause, wo meine Familie und Freunde leben. Der Begriff
Heimat ist mir nicht so wichtig. Zum Problem wird die Herkunft ohnehin
nur dadurch, wie einen andere behandeln“, sagt Usama, der in seiner
Musik gemeinsam mit Christian eine eigene Identität gefunden hat.
mit freundlicher
Genehmigung der AZ als Referenz |